In einem breit angelegten Weihnachtsappell fordern 368 Abgeordnete aus verschiedenen Landtagsparlamenten sowie 245 Bundestagsabgeordnete die verstärkte Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland. Auch in Hamburg schließen sich die Abgeordneten von SPD, Grünen und Linke diesem Appell an die Bundesregierung an und fordern schnelle Hilfe. Unter anderem soll der Bundesinnenminister gemeinsam mit aufnahmebereiten Ländern und Kommunen endlich einen konstruktiven Weg für die zukünftige Aufnahme von Geflüchteten finden – auch über das bereits zugesagte Kontingent hinaus.
Dazu Ksenija Bekeris, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion: „Die Schreckensnachrichten von der Insel Lesbos reißen nach dem Brand des Flüchtlingslagers Moria nicht ab. Schlamm, Kälte, Ungeziefer und Gewalt prägen auch im neuen Lager Kara Tepe den Alltag. Lesbos und auch die anderen griechischen Inseln sind zu Orten der Angst und Hoffnungslosigkeit geworden, die das Versagen der europäischen Wertegemeinschaft schonungslos offenlegen. Allein der Bund ist für aufenthaltsrechtliche Fragen und Vereinbarungen mit anderen Ländern zuständig. Deshalb appellieren wir als Abgeordnete verschiedener Parteien heute gemeinsam an die Bundesregierung sowie die europäischen Nachbarinnen und Nachbarn, eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten und die Geflüchteten der griechischen Inseln auf andere Standorte zu verteilen. Hamburg und viele andere Kommunen haben 2020 mehr als einmal deutlich gemacht, dass sie bereit sind, ihren Beitrag zu leisten. Gehen wir es an.“
Dazu Maryam Blumenthal, stellvertretende Vorsitzende der Grünen Bürgerschaftsfraktion: „Täglich erreichen uns dramatische Meldungen über die Situation in den Lagern für Geflüchtete auf den griechischen Inseln. Angesichts dieses Elends muss deutlich gesagt werden: Wir sind weit weg von einer humanen Asylpolitik und kommen unserer Verantwortung nicht nach, Menschenrechte auf europäischem Boden zu wahren. Es ist eine Schande, welche Zustände wir auf den griechischen Inseln hinnehmen. Wir dürfen nicht länger wegsehen und ignorieren, dass die Menschen, vor allem die Kinder, katastrophalen Umständen ausgeliefert sind. Wir sollten uns alle fragen, wie es sein würde, das eigene Kind in solch einem Lager zu wissen. In Hamburg weisen wir schon seit längerer Zeit darauf hin, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt und wir bereit sind, über den Königsteiner Schlüssel hinaus Geflüchtete aus diesem Bereich aufzunehmen. Wir schließen uns deshalb dem Weihnachtsappell an und fordern die Bundesregierung erneut zum humanitären Handeln auf. Dass sich bundesweit so viele Angeordnete kurzfristig diesem Appell angeschlossen haben, macht deutlich, dass der Druck zunimmt und endlich gehandelt werden muss.“
Dazu Carola Ensslen, flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft: „Wir alle lesen die Berichte über die katastrophalen Zustände in den Lagern auf den griechischen Inseln, für die Moria zum Symbol geworden ist. Der Winter mit Nässe und Kälte ist für die Menschen lebensgefährlich. Und besonders für die Kinder gibt es keinen Schutz vor Gewalt – vor Rattenbissen, vor Gewalt und vor weiterer Traumatisierung. Diese Lager müssen sofort evakuiert werden. Doch die vom Bund versprochene Aufnahme von Geflüchteten läuft quälend langsam. Nicht einmal 100 Menschen sind seit Jahresbeginn hier in Hamburg angekommen. Dabei kann und will Hamburg mehr Menschen aufnehmen. Wir als LINKE fordern daher, dass der Bund entweder höhere Aufnahmezusagen macht oder die Länder selber darüber entscheiden lässt!“
Hintergrund:
Auf der griechischen Insel Lesbos sind nach dem Brand des Lagers Moria 7.500 Menschen im provisorischen Lager Kara Tepe untergebracht – darunter 2.500 Kinder. Die Zustände dort werden als verheerend beschrieben. Entwicklungshilfeminister Gerhard Müller (CSU) sagte am Samstag nach einem Besuch des Lagers, er habe Flüchtlingscamps im Nordirak und Südsudan besucht, doch „nirgendwo herrschten solch schlimmen Zustände wie auf Lesbos.“ Deutsche Länder und Kommunen hatten gegenüber dem Bundesinnenminister erklärt, sie seien zur Aufnahme von 3.709 Personen bereit. Allein Hamburg hatte die Aufnahme von 500 Personen zugesagt. Das bisherige Programm des Bundes unterstützt jedoch nur die Aufnahme von 1.553 Personen, nach Stand vom 9. Dezember waren davon erst 149 in Deutschland eingereist.
Der Weihnachtsappell im Wortlaut:
In der Nacht vom 8. auf den 9. September 2020 wurde das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos durch einen Brand zerstört.
Bereits zuvor war das Lager Moria über Jahre zum Symbol des Versagens europäischer Asylpolitik geworden:
Zeitweise mussten über20.000 Menschen in einem Camp ausharren, das für 3.000 Menschen ausgerichtet war. Die Versorgungs- und Hygienesituation war katastrophal.
Deutschland hat auf diese Situation gemeinsam mit anderen europäischen Ländern reagiert, Hilfsgüter entsandt und die Aufnahmezusage auf knapp 3.000 Menschen erhöht. Dennoch leben die Menschen auch drei Monate nach dem Brand immer noch unter menschenunwürdigen Bedingungen auf den griechischen Inseln oder auf dem Festland. Die humanitäre Situation im neuen Übergangslager Kara Tepe ist laut übereinstimmenden Berichten von Menschenrechtsorganisationen deutlich schlechter als im Camp Moria: Die Unterkünfte sind nicht winterfest, immer noch gibt es keine ausreichende sanitäre Versorgung – Duschen und Toiletten fehlen vielfach. Gewaltsame Übergriffe auch gegen besonders Schutzbedürftige sind an der Tagesordnung. Unter diesen Bedingungen leiden besonders die vielen Kinder.
Angesichts dieser Zustände kritisieren wir umso mehr, dass humane Aufnahmestrukturen wie das auf Lesbos betriebene Flüchtlingslager „PIKPA“ für besonders schutzbedürftige Menschen aufgelöst wurden.
Uns ist bewusst, dass nur ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem, das von echter
europäischer Solidarität geprägt ist, die Asyl- und Migrationsfrage langfristig lösen kann. Diese
europäische Lösung ist jedoch immer noch nicht in Sicht.
Die begrüßenswerten Aufnahmen der Bundesregierung reichen noch nicht aus. Deswegen
fordern wir als Abgeordnete der Landtage die Bundesregierung auf, sich für die Einhaltung
menschen- und europarechtlicher Standards einzusetzen, die Aufnahme Geflüchteter von
den griechischen Inseln in Deutschland zu beschleunigen und die Zusagen angesichts der
Aufnahmebereitschaft in Bundesländern, Städten und Gemeinden zu erhöhen.
In Deutschland haben einzelne Bundesländer sowie über 200 Kommunen zugesagt, zusätzliche
Geflüchtete aufzunehmen. Diese Zusagen übersteigen die vom Bund koordinierte Aufnahme
deutlich. Wir sehen die Bundesregierung in der Pflicht, uns Ländern und unseren Kommunen, die
eine menschenrechtswürdige Unterbringung ermöglichen können und wollen, eine Zusage für die Aufnahme zu erteilen.
Basierend auf den genannten Gründen stellen wir folgende Forderungen an die Bundesregierung:
1) Die Bundesregierung muss sich auf EU-Ebene verstärkt für eine europäische Lösung
einsetzen, die menschen- und europarechtlichen Standards entspricht.
2) Der Bundesinnenminister muss gemeinsam mit aufnahmebereiten Ländern und
Kommunen einen konstruktiven Weg für die zukünftige Aufnahme von Geflüchteten
anstoßen und vorantreiben – auch über das bereits zugesagte Kontingent hinaus.
3) Die Bundesregierung muss – gerade in dieser Jahreszeit – die verstärkte Aufnahme von
Geflüchteten in Deutschland beschleunigen und sich gegenüber weiteren EU-Mitgliedsstaaten dafür einsetzen, dass sie Schutzsuchende freiwillig aufnehmen.